Wallis Report 2007
Col de Prafleuri (3062 m), Val d’Hérémence
Im französischen Teil der Schweiz entdecken wir in unseren Unterlagen
von Peter Donatsch einen interessanten 3000er namens Rosablanche (3336
m ü. M.).
Dessen flacher und wenig gefährlicher Prafleuri-Gletscher scheint uns
wie geschaffen, um eine einfache Gletschertour zu unternehmen. Am Spätnachmittag
geht es dann erste einmal über Brig das Rhonetal in Richtung Westen, schließlich
biegen wir bei Sion ab ins Val d’Hérens. Über unzählige
Kehren, Kurven und Schleifen geht es schließlich ins Nachbartal Val d’Hérémence
weiter. In Mâche (1310 m ü. M.) suchen wir eine Unterkunft. Viele
gibt es hier nicht. Und wer auf Komfort wert legt, ist hier falsch. Für
die spartanische Kajüte mit Gemeinschaftsbad und -WC im Gang entschädigt
aber das köstliche Schweizer Abendmahl auf der Restaurantterrasse unserer
Herberge. Bei Dämmerung und Kerzenschein genießen wir den Ausblick
auf die Dents Blanc sowie landestypische Käsespezialitäten.
Am Morgen nach ebenso leckerem Frühstück führt uns das schmale
und kurvenreiche Sträßlein weiter schließlich zum Ausgangspunkt
unserer heutigen Wanderroute – der Grande-Dixence-Staumauer.
Wir parken den Wagen direkt unterhalb einer unge¬heuren Wand, die das
ganze Tal abschließt. Etwas mulmig ist mir schon bei diesen Dimensionen,
aber die riesige Mauer hält ja schon eine Weile. Lange Zeit war die
Staumauer von Grande Dixence tatsäch¬lich die höchste Gewichtsstaumauer
der Welt. Heute ist sie immerhin noch die höchste Europas. Das ehemalige
klotzige Personalhaus bei der Talstation Le Chargeur ist heute tatsächlich
ein Hotel „Ritz“ – kaum zu glauben. Die winzige Kapelle
neben der Staumauer wurde wohl als architektonischer Kontrapunkt zum Gigantismus
der Kraftwerkbauer stehen gelassen.
Nach kurzer Seilbahnfahrt (Seilbahn Le Chargeur-Dixence) lassen wir das
gigantische Teil sowie die meisten Touristen hinter uns und wandern durch
das kleine Tal von Prafleuri in Richtung der gleichnamigen Hütte. Der
kürze Pfad ist leider gesperrt, was uns zu einem Umweg über den
Pfad an den Berghängen gegenüber zwingt. Die eigentlich angedachten
45 Min. bis zur Cabane de Prafleuri (2662 m ü. M.) weiten sich schließlich
zu 1,5 h aus. Leider ziehen mal wieder Wolken auf und verdrängen den
bisher sonnig-blauen Himmel zunehmend. Die auf einem Felssporn gelegene private
Hütte im kleinen Prafleuri-Tal besteht aus einem alten und einem neu
erstellten Hausteil. 120 Plätze, im Sommer bewirtet. Von der Hütte
bis zur Rosablanche ist mit 2,5 h zu rechnen, 660 Höhenmeter. Nach kurzer
Pause steigen wir weiter hinauf. Unser Ziel ist gut versteckt und weder
von der Prafleuri-Hütte noch von Siviez (Nendaz) im Nachbartal aus zu sehen.
Von der Prafleuri-Hütte folgen wir einer Werkstrasse westwärts.
Nachdem wir den steilen und schier endlosen Moränenschutt mühsam
erklommen haben, ständig nach dem richtigen Weg suchend, taucht der
ersehnte Gipfel endlich am Horizont auf - kein großer Berg, eher ein
im Eis ver¬sunkener Hügel, der wie ein Eisberg nur zu einem Zehntel
aus dem Wasser bezie¬hungsweise aus dem Gletscher ragt.
Geht der Name Rosablanche vielleicht auf eine alte Sage von einem hübschen
Mädchen mit blasser Haut und rosa Wangen zurück, das den Sennen
auf der Alp Prafleuri so lange den Kopf verdrehte, bis das Schicksal
zu¬schlug
und die ganze schöne Alp mit einem Eisstrom überdeckte – dort,
wo heute der Glacier de Prafleuri liegt? Oder wurde die Alp gar derart
verwüstet,
dass bis heute nur noch eine heißt? Wahrscheinlich ist das alles erfunden
und der Berg heißt bloß Rosablanche, weil der Gipfel im Abendlicht
so schön rosaweiß glüht. Die Rosablanche gilt als beliebter
Skitourenberg, der aber auch im Sommer häufig besucht wird und durch
eine großartige Rundsicht auf die Walliser Alpen besticht.
Inzwischen wird es allerdings recht düster, Rosablanche erscheint uns
weder rosa noch blanche.
Auch die Zeit ist rasend schnell verronnen, den richtigen Einstieg auf den
Gletscher haben wir noch nicht gefunden und folgen dem Pfad zum Fuße
des Col de Prafleuri. Der Weg führt hier weiter in Richtung Westen,
vermutlich ins Val de Nendaz, wir pausieren erst einmal, ich rauche
eine, wohl wissend, dass wir die Rosablanche für heute abhacken können – schade.
Der mühselige Aufstieg darf aber nicht umsonst gewesen sein! Welch eine
Schande wäre das! Ich lasse meinen Rucksack zurück und versuche
mich an der Ostflanke des Col de Prafleuri (3062 m ü. M.). Wege oder
Markierungen gibt es hier keine, aber die Kletterpassagen sind leicht überwunden
und ich gewinne schnell an Höhe. Mein Rufen ermuntert nun auch Stefan,
der schon einen leicht frustrierten Eindruck machte und sich wohl schon
den Rückweg ohne Gipfelglück ausmalte. Nach etwa 30 Minuten erreiche
ich den Gipfel, den ein kleines Steinkreuz schmückt. Bald darauf trifft
auch Stefan ein, sichtlich erleichtert, dass nun doch noch ein 3000er die
Statistik ziert. Wir genießen den tollen Anblick des Glaciers mit der
herausragenden Rosablanche, beobachten Wandergruppen, die die Nordflanke
der Rosablanche teilweise herunterrutschen und sich darauf langsam
in unsere Richtung bewegen. Im Westen erahnen wir den Mt. Blanc, leider
stört
die nun tiefer hängende Wolkendecke mehr und mehr die Sicht.
Wir treten den Abstieg an, gelangen schließlich zu unseren
Rucksäcken
und beschließen nun doch noch einen kurzen Trip auf den Gletscher zu
unternehmen. Bei einem Betonklotz auf dem Hochplateau gelangen wir
westwärts
zum Prafleuri-Gletscher. Jetzt ist Equipment-Spaß angesagt! Mit Steigeisen
und Pickel bewegen wir uns recht sicher über den Eisstrom, dessen Oberfläche
recht sulzig und von tausenden kleiner Rinnsaale gezeichnet ist.
Später am Nachmittag erreichen wir wieder die Prafleuri-Hütte.
Für den weiteren Abstieg beschließen wir den eigentlich gesperrten
aber direkten Weg zu nutzen. Hier und da gab es wohl kleine Felsstürze
und ordentliche Steinschläge. Wir halten die Augen offen und gelangen
schließlich unversehrt zum Stausee Lac de Cleuson, dann neben der Staumauer
absteigend zur Sesselbahn.
Die weiteren Nächte werden wir jetzt im Saas-Tal verbringen, wo unser
erster 4000er wartet. Am Abend treffen wir in Saas Grund ein und organisieren
uns dort ein günstiges, aber gemütliches Zimmer – mit eigenem
Eingang!