Wallis Report 2007
Wasenhorn (3246 m), Simplon-Kulm, Simplonpass
Am frühen Morgen brechen wir auf – weiter die Passstraße hinauf.
Der Simplonpass ist ein idealer Ausgangspunkt, kommt man doch mit dem
Wagen auf eine Höhe von 2000m. In der Tat hat die Simplonregion eine Menge lohnender
Gipfelziele in allen Schwierigkeitsgraden und Höhenlagen anzubieten. Vom
einfachen Spitzhorli bis zu Hochtouren auf das 3993 Meter hohe Fletschhorn.
Wir haben uns das Wasenhorn für heute ausgesucht, das laut unserem
Führer Peter Donatsch ein interessanter Grenzberg zwischen der
Schweiz und Italien mit imposantem Rundblick sei und wegen des roten
Felsen auch Punta Terrarossa genannt würde. Was die Schwierigkeit
anbetrifft, sei das Wasenhorn etwa im Mittelfeld anzusiedeln. Wir werden
sehen.
Ausgangspunkt ist Simplon Kulm (2006 m ü. M.), die Passhöhe
des Simplon zwischen
Brig und Domodossola. Wir parken am Simplon Hospiz, von den hier ansässigen
Benediktinern sehen
wir nichts. Den Wanderer mag es beruhigen, dass der Orden des Grossen
St. Bernhard ganz in der
Nähe sitzt und im Notfall Bernhardiner mit Schnaps vorbeischickt.
Von Simplon Kulm bis zum nächsten Zwischenziel, der Monte-Leone-Hütte
erwarten uns heute 850 m Höhendifferenz bei recht warmen 20 Grad
Celsius und Sonnenschein. Zunächst quälen wir uns über
endlose Grashügel,
aufwärts. Schon bald nach der
ersten Steigung führt der Weg einer so genannten Suone oder französisch «Bisse» entlang – so
heissen die Kanäle des alten Walliser Bewässerungssystems.
Gegenüber sehen wir das Bietschhorn, während es nun abwechslungsreicher über
einige tosende Gletscherbäche geht, die jedoch gut gesichert zu überqueren
sind. Höchst interessant wird es unterhalb des Chaltwassergletschers.
Die abgeschliffenen Felsen und Moränen, die den Weg nun prägen,
deuten auf die Arbeit des Eisstroms hin, der sich in den letzten 150
Jahren bis zum Chaltwasserpass zurückgezogen hat. Völlig
glatt und eben ist hier der Fels. Schließlich gelangen wir zum
Chaltwassersee und auf der anderen Seite zur Monte-Leone-Hütte.
Eine gemütliche, eher kleine SAC-Hütte inmitten einer malerischen
Hochgebirgslandschaft.
Inklusive
Pausen haben wir die Strecke von Simplon Kulm bis zur Monte-Leone-Hütte
in knapp 2,5 Stunden geschafft. Nach kurzer Pause und Orientierungsphase
gehen wir die verbleibenden 400 Höhenmeter zum Wasenhorn an. Der
Wanderführer gibt diesen Teil mit 1,5 h an. Wir sind skeptisch,
sehen wir doch weit oben unterhalb des Gipfels
2 Bergsteiger offensichtlich etwas umherirren. Wir beschließen
die Überquerung von Osten
nach Westen, obwohl diese Route im Führer des Herrn Donatsch nicht
beschrieben ist. Ein erstes ungutes Gefühl.
Kurz hinter der Hütte wird es bereits schwierig, die richtige
Route
zu finden und so gestalten sich die nächsten 1,5 h: permanente
Sucherei nach Steinhäuflein und Fußspuren. Der Weg ist jedoch
nicht schwierig, aber wird zunehmend heftig steil. Zwei
heikle Stellen haben es auf der Aufstiegsroute in sich – über
Altschnee. Oben erfordert leichte Kletterei Trittsicherheit, Kondition
und absolute
Schwindelfreiheit. Bei schlechten Verhältnissen (Nässe, Eis)
ist von einer Besteigung abzuraten, da man den Pfad sehr leicht verlieren
kann und es oben sehr steil und luftig wird. Der Fels ist sehr bröckelig.
Die Sonne verschwandt bereits längst, inzwischen ziehen dicke
Kumulus-Wolken über dem Monte Leone auf und kommen bedrohlich
näher. Wind kommt auf und entwickelt sich oben zum heftigen Sturm.
Schließlich erreichen wir die höchste Stelle und bewegen
uns vorsichtig über den schmalen Grat zum Gipfelkreuz, wo wir – halbwegs
geschützt - kurz pausieren und fotografieren. Auf der einen Seite
tut sich ein imposanter Weit- und Tiefblick ins Rhonetal und hinüber
zu den Riesen des Berner Oberlands auf, wobei besonders das Bietschhorn
wie ein riesiger Haifischzahn den Respekt einflösst. Auf der anderen
Seite erhebt sich das Massiv des Monte Leone. Unter uns erkennen wir
die Monte-Leone-Hütte und den mit Eisschollen durchsetzten Chaltwassersee.
Wir ahnen, dass das Wetter zum Abstieg kaum besser wird und treten
rasch den Weiterweg an - in der Hoffnung, dass die Abstiegsroute leichter
und vor allem besser sichtbar ist, als die Aufstiegsroute. Das Gegenteil
sollte der Fall werden. Beim Abstieg ist Klettern auf allen Vieren
angesagt. Nicht zuletzt, um nicht davon zu fliegen. Denn der Sturm
peitscht nun allerheftigst über den Grat. Wie immer bei Gratklettereien
gilt auch beim Wasenhorn, dass das Gehen auf dem Grat dem Kraxeln in
der Flanke wenn immer möglich vorzuziehen ist. Nur leider drohen
wir hier davon gefegt zu werden.
Unsere rutschige Route verläuft teils in der Südflanke,
teils auf dem Grat selbst. Hier und da sehen wir wirre Wegspuren. Die
eigentliche Ideallinie möglichst nah an der Gratkante oder auf
dem Grat selbst ist oft schier unmöglich. So gehen wir unsere
eigene Route, meist über rutschige Geröllfelder in der gefährlich
steilen Südflanke. Heute ist diese Abstiegsvariante tatsächlich
nur für geübte Berggänger und Fährtensucher. Schließlich
gelangen wir irgendwann dann doch auf eine erkennbare ausgetretene
Spur, dann auf einen guten Weg längs der Gratkante des Warenhorns,
der uns sicher hinunter zum Chaltwassersee führt und schließlich
auf die uns bekannte Route hinunter nach Simplon Kulm.