Ortler Report 2006
5. Tag: Rötlspitz/Punta Rosa (3026 m) und Monte Scorluzzo (3095 m), der vierte und fünfte 3000er – 8.8.2006 Ein
weiteres Ziel führt uns am nächsten Tag bei blauem Himmel über
das Trafoier Tal hinauf zum Stilftser Joch. Die berühmte Passstraße
mit ihren 48 Kehren ist ein Abenteuer für sich – es ist
beeindruckend, was hier in Vergangenheit in punkto Straßenbau
geleistet wurde. Das Stilfser Joch (ital. Passo dello Stelvio), zweithöchster
Passstraße der Alpen, verbindet Lombardei und Bormio mit dem
Vinschgau. Im 1. Weltkrieg verlief hier die stark umkämpfte Ortlerfront.
Die Straße führt heute ins Sommerskigebiet auf 2758 m. Vom
Joch aus, einer Hotel- und Geschäftssiedlung für die zahlreichen
Sommerski-Gäste, sind mehrere hohe Gipfel erreichbar. Mindestens
zwei der Gipfelziele nehmen wir uns heute vor.
Die Rötlspitz zählt zu den „raschen“ 3000er,
sie nehmen wir als erste vor, nachdem wir dem Touristenrummel des Stilftser
Jochs über die Dreisprachenspitze nach Norden entkommen. Bald
lassen wir die Sandalentouristen hinter uns und haben die Bergruhe
für uns.
Wir folgen alten Kriegspfaden (Weg Nr. 20) auf weiten Flächen
des Kammes bis unter den Sattel am Südfuß des
Gipfels. Hier steigen wir kurz empor und folgen dann Weg 20a diagonal
durch den Trümmerhang
zum breiten Ostgrat. Über Schutthänge geht es weiter zum
Vorgipfel, dort über Blockwerk, wo Trittsicherheit wichtig wird
- schließlich an einer auffallenden Felskluft vorbei zum höchsten
Punkt dieses „roten Berges“. In gut 75 Minuten haben wir
den strammem Aufstieg zurückgelegt. Der Tiefblick an der Südwand
ist überwältigend. Und eindrucksvoll präsentiert sich
König Ortler auch hier – aber
nun mit seiner zerborstenen, mehr als 1000m hohen Westflanke. Gut sichtbar
hier auch seine mächtige
Eiskappe auf seiner Nordwestabdachung. Davor die Passstraße und
im Süden das Skigebiet an Monte Livrio und Geisterspitze mit den
durch Seilbahnen und riesigen Betonbauten erschlossenen Gletschern.
Gegenüber des Jochs unser nächstes Ziel: der Monte Scorluzzo.
Zurück am Stilftser Joch lassen wir uns nicht vom Jahrmarktstrubel
aufhalten, sondern
stiefeln unentwegt eine Sandstraße gen Süden
bis zum Sattel östlich des Scorluzzo. Hier folgen wir dem Steig
zu einer Schulter empor, oft entlang ehemaliger Schützengräben
des ersten Weltkriegs. Weiter über groben Schutt geht es recht
steil aber einfach
zum Gipfel. Auch der Monte Scorluzzo bietet uns heute eine gute Fernsicht
z.B. auf das Monte Cristallo-Massiv im Süden,
wohinter wir Bormio vermuten. Die Umweltsünden
des Sommerskigebiets im Osten sind jetzt zum Greifen nahe.
Im Nordwesten
schon in der Schweiz
gelegen erspähen wir den Piz Umbrail und planen eine Drei-Gipfel-Tour
perfekt zur machen. Zurück
am Stilftser Joch lassen wir diesen Plan jedoch fallen, da uns heute
noch ein Gebietswechsel ins Martelltal
bevorsteht. Damit verbunden ca. zwei Stunden Autofahrt, die erwähnten
48 Kehren hinunter
ins Trafoier
Tal und weiter abwärts in den
Vinschgau. Dort erwarten uns alsbald sommerliche Temperaturen und strahlend
blauer Himmel, der uns bis zum nächsten Nachmittag im Martelltal
erhalten bleiben soll. Das bezaubernde Tal ist durch den Zufrittsee,
einem türkisblauen Stausee geprägt,
der mit dem dick vergletscherten Monte Cevedale im Hintergrund malerische
Fotomotive liefert. Im einzigen
Ort des Tales, in Martell, übernachten wir.