Die Alpbach Chronik 1999

27.08.1999 Joel-Spitze (1964m)

Ein Blick aus dem Fenster verrät mir sofort: heute ist Freitag, mein freier Tag. Das Wetter ist so was von "schiach", es gießt in Strömen. Das Radio verspricht Besserung, da sei nachmittags sogar Sonne drin. Als der Regen tatsächlich nachläßt, mache ich mich auf zum Schatzberg. Vom Gipfel aus will ich über den Kamm nach Süden bis auf den Lämpersberg, ein ordentliches Stückchen.
Nach gut zwei Stunden bin ich zum zweiten Mal auf dem Schatzberg, das Wetter ist noch schlimmer als vor drei Wochen, man sieht kaum die Hand vor Augen. Ich genieße gerade mein Mittagessen (Ei und Zigarette), da bekomme ich Besuch von einem einsamen Niedersachsen. Er ist seiner Busreisegruppe entflohen und wollte, statt in den Dolomiten rumzugurken, lieber mal einen Berg leibhaftig besteigen. Wir führen eine angeregte Unterhaltung über die Prinzessin von Schaumburg-Lippe und ihre ständigen Eskapaden. Leider muß ich mich schließlich verabschieden, ich habe noch einen weiten Weg vor mir.
Nachdem es die ganze Nacht geschüttet hat, ist der Weg in einem üblen Zustand. Beim Abstieg vom Schatzberg in Richtung Gernsattel rutsche ich aus und lande mit meinem Hintern im Matsch. Müßig, darüber nachzudenken, ob das jetzt Erde oder Kuhscheiße ist, weil das eine jeweils das andere hervorbringt. In diesem Stil geht es weiter, allmählich jedoch geht der Schlamm in ein richtiges Moor über und ich muß über die ausgelegten Holzplanken balancieren.
Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, bis ich endlich am Fuß der Joel-Spitze stehe. Auf dem Gipfel steht eine Art Pyramide. Joga auf der Joel-Spitze In wenigen Minuten bin ich oben und die Pyramide erweist sich als steinernes Denkmal. Ein Metallschild klärt mich auf, daß ein gewisser Herr
Joel hier vor nunmehr 90 Jahren den Lawinentod starb.
Ich möchte wetten, daß es sich um eine Schlammlawine gehandelt hat. Ich mache mich wieder auf den matschigen Weg. Als nächstes liegt der Saupanzen (1957m) auf dem Weg. Ich lasse ihn aus, der Name gefällt mir nicht, und gehe drum herum.
Endlich kommt der Lämpi in Sicht, das heißt nur der untere Teil, der nicht in Nebel gehüllt ist. Das mit dem Wetter wird wohl nichts mehr heute. Es gibt viele Gründe, warum immer mehr Hörer zu Antenne Tirol wechseln, der Wetterbericht gehört sicher nicht dazu. Nomen est Omen? Ein Bergbauer, der auf der Suche nach seinen Kühen ist, äußert sich skeptisch gegenüber meinem Vorhaben. Das Wetter würde nicht besser und es sei noch ein weiter, anstrengender Weg bis oben hin. Ich nehme das als Herausforderung und versuche den Aufstieg, bis zur Dämmerung sind noch fast drei Stunden Zeit.
Der Anstieg erweist sich schnell als steil und rutschig, nach gerade mal hundert Höhenmetern gebe ich auf. Müßige Plackerei, wenn man überhaupt nichts sieht. Regel 4: Fragst du den Bauern nach dem Wetter, sagt er "Spar dir das Gekletter!" Der Rückweg ist die reinste Odyssee: über die Feldalm zur Lueger Alm und runter nach Inneralpbach. Von dort aus über den oberen Höhenweg nach Alpbach, der sich dank müder Beine nochmals wie ein Kondom in die Länge zieht. Zu Hause angekommen wird es gerade dunkel.

Fazit: wie soll bei so einem Wetter irgend etwas Spaß machen?

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: —


31.08.99 Lämpersberg (2202m)

© Stefan Maday 5.10.2001