Die Alpbach Chronik 1999

15.09.1999 Über den Gamssteig zum Krinnjoch

Schon wieder Kaiserwetter! Gerade gut genug für die vielleicht anspruchsvollste Tour meiner Karriere: einmal quer über die Sagtaler Spitzen. Da ich meine Kräfte noch brauchen werde, bringe ich mich mit der Wiedersberger Hornbahn auf Höhe. Von der Bergstation marschiere ich eine gute Stunde gen Süden, dann stehe ich auf dem Gipfel der Sagtaler Spitze.
Dort findet gerade eine konspirative Sitzung statt, an die zwanzig Wanderer haben sich auf dem engen Gipfel zusammengequetscht. Mit Mühe finde ich noch ein Plätzchen, übersät mit kleinen braunen Kügelchen. Die Frage lautet nicht, was das ist, sondern von wem das ist.
Lange möchte ich mich hier auch gar nicht aufhalten, rauchend wage ich einen Blick nach Osten. Dort verläuft mein Weg über den Grat, verliert sich aber bald im zerklüfteten Gelände. Der steile Bursche mit dem Kreuz obendrauf muß der Tapenkopf sein. Ein leichter Schauer läuft mir den Rücken herunter. Dahinter, von hier nicht zu sehen, sollte der Gamskopf liegen. Da habe ich mir was vorgenommen!
Ein jüngeres Quartett, drei Buben und eine Dame, wagt den Vorstoß über den Gamssteig. Vorsichtig stiefelt es den schmalen Kamm herunter, nach einer Minute ist es außer Sichtweite.
Ich raffe mich auf und gehe hinterher, so fühle ich mich nicht ganz allein in dieser fremdartigen Welt. Der Pfad ist nicht so schlecht, wie ich dachte, nach kurzem Abstieg verläuft er etwas unterhalb des Grates, auf der Sonnenseite. Sehr schmal zwar, aber dafür habe ich links eine Wand, das gibt mir ein Gefühl der Sicherheit. Im Falle eines Stolperers habe ich eine reelle Chance, wenn ich mich rechtzeitig gegen den Hang werfen kann. Außerdem passiert mir sowas nicht.
Obwohl ich recht bedächtigt voranschreite — ich muß mich einfach immerfort auf jede kleine Unebenheit des Pfades konzentrieren — habe ich mein Bergführer-Quartett nach wenigen Minuten eingeholt. Es steht in einer Felsnische und sieht ziemlich unschlüssig aus. "Tolle Tour, was?" bemerke ich happy, es nickt halbherzig. Ich lasse das Quartett hinter mir, von nun an bin ich auf mich allein gestellt, wie so oft.
Hier und da windet sich der Pfad um einen großen Felsklotz herum, eine haarige Sache, ich benötige beide Hände, um mich irgendwo festzukrallen und schürfe mir die Haut von den Beinen.
Endlich geht es steil aufwärts, und nach einer halben Stunde stehe ich auf dem Tapenkopf. Von hier aus ist zum ersten Mal der Gamskopf zu sehen, er wird mit 2205m angegeben, ebenso wie der Tapenkopf. Allerdings liegt der Gamskopf ganz offensichtlich um einiges niedriger. Wer hat eigentlich diese Berge vermessen und diese Karten angefertigt?
Es scheint, daß der Tapenkopf nicht allzu oft besucht wird, das Gipfelbuch ist bereits seit sechs Jahren in Gebrauch und nicht einmal halbvoll. Vor sechs Jahren habe ich noch Schallplatten gekauft!
Ich esse eine Kleinigkeit und rauche ein Zigarettchen. Mein Tabak geht zur Neige, das reicht noch für maximal zwei Dunstmorcheln. Eine für den Gamskopf, eine für den Abstieg vom Krinnjoch und dann muß ich stark sein. Unwahrscheinlich, daß ich hier oben einen Kiosk finde. Der könnte aber jeden Preis verlangen!
Ich schaue kurz, was das Quartett macht, es wird in Kürze hier sein. Ich habe keine Lust, zu warten. Ich bin total gespannt, wie es jetzt weitergeht. Zunächst einmal ein senkrechter Abstieg über einen Klettersteig, d.h. Stahlseil und Trittklammern. Da kann nichts passieren, außer, daß die Handflächen schwielig werden.
Bis hierhin hat mich der Gamssteig vor keinerlei wirkliche Probleme gestellt, doch nun ändert sich sein Charakter. Der Pfad, der bisher unterhalb der Felsspitzen verlaufen ist, führt nun immer öfter direkt über den Grat und macht mich mit dem steilen und schattigen Nordhang bekannt. An solchen Stellen ist äußerste Konzentration angesagt, jeder Schritt will sorgfältig gesetzt sein. Nach einem "Game over!" gibt es in der rauhen Realität des Gebirges keine Option "Gespeichertes Spiel laden". Hier gibt es weder Netz noch doppelten Boden, keine Sicherheit und erst recht keine Dividende. Bungee-Jumping ist keine Heldentat, wenn man realisiert, daß nichts schiefgehen kann.
Letztlich macht dieser Umstand, neben der faszinierenden Optik der Landschaft, auch den Reiz des Bergwanderns aus. Spazieren geht man besser im Stadtpark. Ich denke, nach meiner Galtenberg-Tour habe ich das letzte Residuum an Höhenangst eingebüßt, seitdem strotze ich nur so vor Selbstvertrauen, habe mir aber eine gewisse Ehrfurcht vor den Bergen bewahrt. Die Höhenangst, von Douglas Adams besser als Bodenangst bezeichnet, denn letztlich ist es der Boden, auf dem man schmerzlich aufschlägt, wirkt lähmend und genußhemmend, während der Respekt mich hier oben am Leben hält. Ich bin jetzt ein "Geübter".
Ich lasse mir Zeit und genieße das Gehen und die zwei oder drei Klettersteige, die noch folgen. So brauche ich ungefähr doppelt so lange wie für den ersten Abschnitt, dann zweigt links ein Trampelpfad zum Gamskopf ab. Gamskopf Gipfelkreuz Oben gönne ich mir meine vorletzte und schaue mich in der Gegend um. Im Nordosten der Galtenberg, auf dem ich bald jeden Stein kenne, vor mir der Tristenkopf und dahinter die Hohen Tauern, zum Greifen nah und doch für mich zu fern.
Das Quartett ist nirgends zu erkennen, wahrscheinlich vergnügt es sich gerade auf einem der vielen Klettersteige. Ich mache ein kleines fünf-Minuten-Heiachen in der Sonne.
Als ich aufwache, sehe ich die vier als kleine Silhouetten auf einem der Zwischengipfel. Ich bin beruhigt, denn ich habe schon mit dem Gedanken gespielt, einen Hubschrauber zu rufen. Ausnahmsweise gibt es hier oben sogar Handy-Empfang. Auf den allermeisten Bergen war das bisher nicht der Fall und die 140 hätte mir nicht helfen können.
Der Abstieg zum Krinnjoch (1990m) hat es nochmal so richtig in sich. Erst geht es relativ sanft einen schmalen Grat hinunter, dann steil einen zweihundert Meter hohen Abhang. Der Pfad ist sehr stark ausgetreten und rutschig, bei Regen zahlt hier keine Versicherung.
Das Krinnjoch ist der tiefste Einschnitt zwischen Gamskopf und Tristenkopf. Von hier aus gelangt man wahlweise nach Inneralpbach oder in den Märzengrund. Nur ersteres kommt für mich in Frage, nur ein Volltrottel würde zu dieser Uhrzeit noch ins falsche Tal hinabsteigen und ein Vermögen für eine Fahrgelegenheit hinblättern.
Unterhalb des Jochs liegt ein idyllisch gelegener Rastplatz, ausgestattet mit Sitzbank und Viehtränke sowie Blick auf den Gamskopf. Eine angemessene Lokalität für meine zwangsweise letzte Pause, die ich in vollen Zügen auskoste. Dabei sehe ich zum letzten mal das Quartett wieder, wie es den Abstieg zum Joch wagt.
Ein relativ leicht zu gehender Pfad führt in den Greiter Graben, nach anderthalb Stunden stehe ich in Inneralpbach an der Bushaltestelle, ohne Rauchwerk, aber gesund.

Fazit: eine legendäre Tour, muß man gemacht haben!

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: 


22.09.99 Über den Lämpersberg zum Kleinen Beil (2196m)

© Stefan Maday 5.10.2001