Die Alpbach Chronik 1999
10.09.1999 Übers Sonnjoch (2287m) zum Großen Beil (2309m)
Es ist Freitag und da scheint doch tatsächlich mal die Sonne!
Voller Optimismus habe ich mir gestern Abend bereits eine Lage
10-Minuten-Eier gekocht, denn heute steht eine richtig große Tour an.
Wenn alles glattgeht, sollte ich heuer gleich drei
Zweitausendzweihunderter (2200er) auf einen Streich besteigen.
Um Punkt zehn Uhr stehe ich am Tollwutschild im Lueger Graben auf
etwa 1000m Seehöhe. Als erstes peile ich das Sonnjoch an, den
Ursprungsort des Alpbaches. Doch bis dahin ist es noch ein weiter
Weg durch den Graben. Aber ein angenehmer, es ist noch kühl und
die Kuh-Avenue steigt nur ganz allmählich an.
So komme ich sukzessive an vielen Bergen vorbei, die ich in den letzten
Wochen besucht habe, zu meiner Linken liegen die Joel-Spitze und der
Lämpersberg, rechts über mir erhebt sich der gewaltige Gipfel
des Galtenbergs. Von hinten wirkt er ziemlich schroff
und bedrohlich, kein Wunder also, daß von Osten kein offizieller
Wanderweg zum Gipfel hinaufführt.
Hinter dem Galti kommt rechts der Torkopf (2116m), eine Art Nebengipfel,
der aussieht wie ein steingewordener Pudding. Den verputze ich auch noch
bei Gelegenheit, doch heute habe ich Größeres vor.
Nach anderthalb Stunden Lustwandelei erreiche ich die
Steinbergalm. Ohne es richtig zu merken, habe ich schon
ungefähr 700 Höhenmeter zurückgelegt.
Doch hier ist im wahrsten
Sinne des Wortes "Ende Gelände".
Vor mir eine Wand, rechts der zerklüftete Steinberg (2358m) und
links das Sonnjoch. Hier ist das Alpbachtal also
endgültig zu Ende!
An der Alm gehe ich links den Trampelpfad zum Steinberger Joch
hinauf. Das ist kein Gipfel, sondern der tiefste Einschnitt
in der südlichen Wand, immerhin noch 1911m über NN. Hier mußten
die Alpbacher in früheren Zeiten drübermarschieren, wenn sie mit
ihren Spezis im Nachbartal mal so richtig einen heben wollten.
Gut angeschwitzt erreiche ich das Joch und brauche erstmal eine
rechtschaffene Brunchpause zu Füßen des Bergsteigerdenkmals.
Aus manchen Inschriften werde ich nicht ganz schlau, es scheint sich aber
alles um tote Bergsteiger zu drehen. Herr Joel ist nicht aufgeführt,
schließlich hat er seinen eigenen Gipfel. Nicht weit entfernt steht
die weltberühmte Otto-Leixl-Hütte, von der kein Mensch
weiß, wozu diese wohl gut sein soll. Otto scheint ein berühmter Kraxler
gewesen zu sein. Ob man mir auch ein Denkmal errichten würde, sollte es
mich hier oben einmal erwischen? Immerhin bin ich doch scho a hoiber
Tiroler, wenn es auch mit dem Andreas Hofer-Song noch net so ganz hi haut.
Ich freue mich noch ein wenig, daß man hier so
herrlich sitzen und qualmen kann, danach mache ich mich aufi.
Über den matschigen Westhang geht es hinauf zum Sonnjoch, irgendwo
hier muß der Alpbach entspringen. Der Anstieg ist relativ einfach.
Oben angekommen, muß ich das Gipfelkreuz erst einmal suchen.
Eine Wolke hat sich über den Gipfel gelegt, es ist mit einem Male
eiskalt und ich kann kaum mehr als fünf Meter weit sehen. Ich habe
ein deja vu, das ist mir doch schon mal passiert! Warum ausgerechnet
auf dem "Sonnjoch"?
Meine Beine laufen schon bald blau an und ich
verspüre Bewegungsdrang. Ich suche
den Weg zum Großen Beil und komme an zwei Gestalten vorbei, die
gemütlich im Gras rumsitzen. Ganz schön abgebrüht. Ich
erreiche das Ende der Nebelsuppe und siehe da: vor mir glitzert
der Beil (nicht: das Beil) eindrucksvoll mit seiner scharfen Schneide in der
Septembersonne. Doch zwischen mich und das Sonnenbad hat Lithos
noch einen messerscharfen Grat gesetzt, den Aufwand
an Zeit, Schweiß und Adrenalin vermag ich gar nicht abzuschätzen.
Also los! Einen Grat wie diesen gehe ich heute zum ersten Mal, er ist
erschreckend schmal und führt immer wieder steil auf und ab. Am
Nordhang des Sonnjochs ist es noch ziemlich feucht und rutschig.
Es liegt immer noch Schnee, in tiefen kleinen Senken
unter pechschwarzen Felswänden. Schaurig schön.
Schüchtern bewege ich mich anfangs nur ganz langsam vorwärts,
nach einer Weile traue ich mir etwas mehr zu und irgendwann,
die Zeit wird zur Illusion, erreiche ich den Gressenstein (2216m).
Man mag geteilter Meinung darüber sein, ob dieser Gipfel sein
eigenes Kreuz verdient hat, eigentlich ist er nur einer
von mehreren Spitzen auf dem Weg zum Großen Beil.
Vom Beil her kommen drei Ameisen gemächlich auf mich zu, das
Sonnjoch hinter mir liegt immer noch in der Wolke. Ich gehe
weiter, zunächst bergab, dann über einen weiteren namenlosen Gipfel,
dann geht es wieder bergab. Ich lasse die Ameisen vorbei und mache
mich an den letzten Aufstieg zum Großen Beil.
Die Sonne brennt inzwischen gnadenlos, es geht so steil bergauf,
daß ich schon nach wenigen Minuten total erledigt bin. Sicher
sehr zum Amüsement der Ameisen, die inzwischen auf dem
Gressenstein campieren, bleibe ich alle paar Meter keuchend
und japsend stehen und gebe vor, die Aussicht zu genießen.
Allmählich verbreitert sich der Grat, der Pfad ist zwischen
den großen Schieferbrocken manchmal kaum noch zu erkennen. Nur ab
und zu sehe ich auf dieser Geröllhalde eine Farbmarkierung. Aber
ich weiß ja, wo ich hin will. Und da lande ich schließlich auch.
So happy bin ich, daß ich mir, während mein Puls genüßlich
abklingt, gar ein Gedicht fürs Gipfelbuch überlege. Das da
lautet? Leicht nachzulesen!
Prima Aussicht, nur der Galti direkt gegenüber ist noch ein Stückerl
höher. Als ich das nördliche Ende des Gipfels inspiziere, packt
mich ein böses Schwindelgefühl ob des dort gähnenden
Abgrundes. Die Wand scheint unter mir mehrere hundert Meter quasi senkrecht
abzufallen. Und dennoch gibt es dort irgendeinen
Weg über das sogenannte Beilschartl zum Kleinen Beil und weiter
zum Lämpersberg, natürlich nur für Irre (im Wanderführer "Geübte"
genannt).
Ein Blick auf die Uhr mahnt mich, daß ich alsbald eine Strategie
für meine Rückkehr ausknobeln sollte. Irgendwie komme ich
immer zu spät zu den Parties. Wie gerne würde ich noch
den Gamskarkopf im Osten mitnehmen, aber wenn ich tatsächlich
wieder bis zum Sonnjoch zurücklatschen muß, bin ich jetzt schon
spät dran. Meine Wanderkarte, auf die ich mich noch niemals
verlassen konnte, zeigt eine mögliche Abkürzung auf: von dem
Sattel kurz vor dem Gressenstein zweigt angeblich ein Pfad steil
nach unten ab.
Meine Assistentin, Miss Selfie Timer, schießt noch fix ein Heldenfoto
von mir, dann mache ich mich schweren Herzens wieder auf den Weg.
Der Abstieg geht leicht und locker von den Füßen, bis zur
besagten hypothetischen Kreuzung geht es fast nur bergab. Dort
angelangt, suche ich verzweifelt nach menschlichen Trittspuren, die
mich ins Tal geleiten. Vergebens! Unter mir ein
Kar
mit Gressensteins persönlicher Schutthalde.
Nun ist guter Rat teuer! Die Piste ist nicht so steil, daß man
sie nicht irgendwie heruntertrampeln könnte. Aber sollte ich
in einer Sackgasse landen, will ich hier nicht wieder hoch
hecheln müssen. Andererseits ist es noch furchtbar weit bis
zum Sonnjoch (obwohl ich schon gerne wüßte, ob die beiden
Typen inzwischen erfroren sind) und ich käme ganz am Ende des
Tals herunter.
Also doch runter auf der Suche nach neuen Wegen zum Glück!
Ich trete mir meinen eigenen Weg durch loses Geröll und
unangenehm kratziges Heidekraut. Das ist aufregend, weil
ökologisch natürlich total unkorrekt, obwohl ich bei meinem
Kampfgewicht von gut 60 kg keiner Kuh Konkurrenz machen kann.
Nach einer Weile treffe ich
auf eindeutige Spuren von Kühen (bzw. das, was Kühe gerne hinten
rausjagen). Da ich mittlerweile ein Experte im Lesen von
Kuhexkrementen bin, erreiche ich auch bald mein Ziel: den Bettelsteig.
Wenn das bisher wirklich ein Wanderweg war, dann ist
er seit der Trennung der Beatles nicht mehr benutzt worden.
Der Bettelsteig erstreckt sich hoch über dem Graben von der
Steinbergalm bis zur Feldalm, ich brauche ihm nur nach Norden
zu folgen und an irgendeiner Alm abzusteigen. Unterhalb des
Kamms ist es so richtig heiß und ich bin froh, als ich
einen kleinen Katarakt entdecke, an dem ich Hygiene betreiben
und meine leere Wasserpulle auffüllen kann.
Meinen Füßen zuliebe wechsle ich bei der Stadlkehralm auf
den Senioren-Highway, von dort geht es in vielen Serpentinen
in den Graben hinunter. Die letzten beiden Kilometer brauche ich
nicht mehr zu laufen, ein Motorradfahrer nimmt mich mit. Er rast
wie eine gesengte Sau, offenbar ist das seine Lieblingsrennstrecke.
So erreiche ich kurz nach sechs doch ziemlich erleichtert
das Auto, tief beeindruckt und total kaputt von gut acht Stunden Alpenspaß.
Fazit: Eine phantastische Tour mit allem, was das Herz
begehrt, vor allem Abenteuer. Den Großen Beil muß man einfach
lieben (egal, wessen Geschlechts er nun ist)
Unterhaltungswert:
Schwierigkeitsgrad: