Dolomiten Report 2001
01.07.2001 Von Sexten zur Zsigmondyhütte (2235m)
Sexten-Moos -
Talschlusshütte -
Zsigmondyhütte -
Hochleist -
Zsigmondyhütte
(i) Schnee, Schnee, Schnee
Das waren unsere drei Hauptsorgen während der beiden letzten Wochen. Da haben wir
Frühsommer und in den Sextener Dolomiten liegt die kalte Pampe nach wie vor in
rauhen Mengen herum. Einen derart langen Winter
wie in diesem Jahr hatten die Alpen seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Noch im Mai
hatte es deftig gerieselt. Ein Hohn angesichts der Tatsache, dass wir uns alle erdenkliche
Mühe geben, die globale Erwärmung voranzutreiben. Doch auf die Natur ist bekanntlich kein Verlass.
Ohnmächtig waren wir dazu verdammt, die quälend langsamen Fortschritte der einsetzenden
Schneeschmelze mittels
Livecam
und Wetterbericht
aus der Ferne zu verfolgen.
So waren wir auch nicht allzu überrascht, die Nordhänge der über dem Ortsteil Moos
thronenden Rotwandspitze bei unserer gestrigen Ankunft in kräftiges Milchzahnweiß getaucht
zu sehen. Hübsch anzublicken, solange man nicht dort oben herumzustapfen gedenkt.
Schade, denn die eindrucksvolle Spitze hätte unser erster Meilenstein auf dem Weg
zur Bertihütte sein sollen. Da werden wir wohl improvisieren müssen.
Von der Pension Weberhof, in der wir genächtigt und unsere vermutlich für längere
Zeit letzte Dusche genossen haben, sind es nur wenige hundert Meter bishin zur Talstation
der Rotwandwiesenbahn. Dort sagt man uns, was wir eigentlich schon wussten: oben liege
noch sehr viel Schnee. Ein Anruf auf der Bertihütte bringt mehr Klarheit: der Klettersteig,
der von der Bertihütte zur Zsigmondyhütte, unserem morgigem Ziel, führt, sei unpassierbar.
Kurzerhand werfen wir unsere gesamte Planung über den Haufen und beschließen, die Bertihütte
sausen zu lassen und schon heute zur Zsigmondyhütte aufzusteigen.
Unsere Knochen werden es uns danken, denn der Plan, am ersten Tag bereits einen steilen
Beinahe-Dreitausender mal eben so vom Tal aus überrennen zu wollen, war vielleicht auch
etwas zu ehrgeizig und eher dem Bierwahn entsprungen.
(ii) Fischlein und Wasser
Wir verlassen die Straße und somit die Zivilisation und folgen dem Dolomiten-Highway
Nummer 5, der leicht ansteigend das malerische Fischleintal hinaufführt. Die Gipfel sind
nach dem nächtlichen Regen in dichte Wattewolken gepackt, hier unten jedoch brennt bereits
die Sonne und ein warmes Wonnegefühl stellt sich ein. Der Rucksack erscheint
mir lange nicht so wuchtig wie vor einem Jahr bei unserer Tour durch die Westdolomiten und
so bereue ich es vorläufig nicht, dass ich diesmal ein paar Unterhosen weniger eingepackt
habe. Vorläufig... Wir kommen unerwartet schnell voran und hängen die zahlreichen
Tagesausflügler locker ab.
Bald schon haben wir die Talschlusshütte (1548m) erreicht. Ihr italienischer Name,
Capana Turistica, erweist sich als noch treffender.
Ab hier zeigen wir dem Dolomiten-Highway die kalte Schulter und vertrauen auf den
Trampelpfad, der parallel zu dem Bächlein mit dem originellen Namen Bachern-Bach
direkt nach Süden führt. Vor uns liegt eine imposante
steile Zinne, der Hochleist (2410m). Seine Form sowie die dunkle schwarze Spalte am Fuße
seiner Nordwand wecken in uns unwillkürlich gewisse Assoziationen, die ich im Rahmen dieser
seriösen Reportage nicht näher spezifizieren möchte.
Schließlich zwingt uns der Weg, den Bach zu überqueren. Zu Zeiten, an denen die
Schneeschmelze abgeschlossen ist, mag sich an dieser Stelle eine seichte Furt befinden.
Nicht so heute. Ich versinke bis über die Schäfte meiner Schuhe im Wasser und hole mir
nasse Füße. Das erscheint mir anfangs nur ein wenig unbequem. Doch sobald der Weg steiler
anzusteigen beginnt, bemerke ich erste
Schmerzen. Offenbar löst sich die aufgeweichte Haut von den Fersen.
Wir nehmen eine Auszeit zum Sockenwechseln, Schuhetrocknen und Salamifuttern.
Hoffentlich habe ich die Socken nicht zu voreilig ausgetauscht, denn laut Karte werden
wir den Rauschebach noch einmal überqueren müssen. Das Tal vor uns verengt sich sukzessive,
bald ist es fast gänzlich vom strömenden Wasser eingenommen. Wieder kommen wir an eine
dieser Pseudo-Furten und stellen schnell fest, dass das Wasser zu tief ist, um das andere
Ufer trockenen Fußes erreichen zu können. Nun ist guter Rat teuer.
Auf der Suche nach einer besseren Passage gehe ich das Ufer immer weiter stromaufwärts ab.
Vergebens. Entweder ist
das Wasser zu tief oder die Strömung ist zu reißend. Das ist nicht verwunderlich, denn
nach den Gesetzen der Hydrodynamik sollte das Wasservolumen, das pro Zeiteinheit durch
den Stromquerschnitt fließt, an allen Stellen das gleiche sein. Letztlich finde ich
doch noch eine geeignete Stelle, an der ich den Mahlstrom durch geschicktes
von-Fels-zu-Fels-Hüpfen überqueren kann. Mit dem schweren Gepäck wäre dies jedoch eine
riskante Angelegenheit.
So kehre ich wieder zum Ausgangspunkt zurück und finde den Michael jammernd vor. Bei dem
Versuch, Steine in den Bach zu werfen, hat er sich einen Finger gequetscht. Dafür kam
ihm die zündende Idee, die ebenso absurd wie einleuchtend scheint: die Stromschnellen
ohne Schuhe zu überqueren! In Badelatschen a la Kneipp durch das eiskalte Wasser. So wird
es auch gemacht, schnell und schmerzhaft. Endlich am rettenden Ufer. Die Kosten dieser
mehr als peinlichen Bachaktion: eine Stunde Zeit und ein nekroser Finger. Der Profit:
saubere Füße und die Erkenntnis, dass es immer noch etwas zu lernen gibt.
(iii) Rifugio Zsigmondy Comici
Die Füße werden rasch wieder warm, während wir den rechtsbacherischen Hang emporsteigen.
Das verhasste Gewässer liegt bald hundert Meter unter uns, als wir wieder auf den guten
alten Dolomiten-Highway treffen. Der Unterschied zu unserem Trampelpfad ist markant: breite,
ausgebaute Stufen führen die Südostflanke der Kanzel (2533m) hinauf. Wir treffen auf einen
Briten, der meint, in eight minutes wären wir an der Hütte. Wir schaffen es sogar in five.
Wie die meisten Berghütten in den Dolomiten zeichnet sich auch die Zsigmondyhütte
durch ihre exquisite Lage aus: gegenüber dem mächtigen Zwölferkofel (3094m) und seinem
dieser Tage vollkommen schneebedeckten nördlichen Schutthang.
Wir checken bei der netten Blondine ein und lümmeln uns bei koffeinhaltiger Limonade
ein wenig auf der Terrasse herum. Es ist noch früher Nachmittag, bis hierher
haben wir etwa 4.5h benötigt. Zeit genug, um noch die eine oder andere Attraktion
mitzunehmen. Wir beobachten eine Gruppe, die von der Scharte westlich des Zwölfers
durch die steile Schneepiste in unsere Richtung herabkommt. Die Leute haben sichtlich
Schwierigkeiten bei ihrem Abstieg und retten sich im Schneckentempo von einem der raren
schneelosen Flecken zum nächsten. Da bekommt man es richtig mit der Angst zu tun.
Der Himmel hat sich mehr und mehr zugezogen, aus der Ferne ertönt auch einmal das ein oder
andere Donnergrollen. Dessen ungeachtet beschließen wir, heute noch den Gipfel des
Hochleist anzugehen.
Von unserer Warte aus sieht er alles andere als steil und gefährlich aus, von Süden her
ist er über einen kaum ansteigenden Kamm zu erreichen.
(iv) Die Besteigung des Hochleist (2410m)
Das überflüssige Gepäck wird aus dem Rucksack entfernt und verbleibt auf der Hütte.
Nun wird es ernst. Schon bald erreichen wir das riesige Schneefeld, dass es in östlicher
Richtung zu
durchqueren gilt. Die weiße Masse zeigt sich ziemlich glitschig und seifig, gerne überlasse
ich Michael den Vortritt, auf dass er mir Stufen in den Schnee
trete. Wir sind sehr glücklich über die Wanderstöcke, die wir in diesem Jahr dabei haben.
Sie waren eigentlich zur Schonung unserer maroden Kniegelenke gedacht, geben aber auch
Halt im tiefen rutschigen Schnee. Eine lohnende Investition.
Der Pfad, der eigentlich nur aus Fußstapfen besteht, die irgendjemand in den letzten
Stunden oder Tagen hinterlassen hat, steigt glücklicherweise nur mäßig an. Dennoch
freue ich mich über jeden kleinen schneefreien Flecken, über den er führt. Die
Treterei im Schnee ist höchst anstrengend und ich habe niemals das beruhigende Gefühl,
wirklich Herr über meine eigenen Füße zu sein.
Nach einer halben Stunde gelangen wir an einen kleinen Pass (2328m). Der Hauptpfad
steigt von nun an steil hoch zur Forcella Giralba, wir biegen links ab in Richtung
auf den Hochleist Gipfel. Wir rasten an einem niedlichen kleinen Gletschersee, bevor
wir uns auf den Kamm stürzen. Der ist vorerst noch sehr breit und mit wüsten
Karren
bedeckt. Die schmalen Rillen erweisen sich als tückische Fallen für unsere Stockspitzen.
Vergeblich suchen wir nach Wegmarkierungen, jeder Pfad ist gleichwertig.
Allmählich verjüngt sich der Kamm und verwandelt sich in einen Grat, die Felsen nehmen
wieder kantigere Formen an. Wir überqueren ein paar kleinere Schneefelder und stehen
auch bald schon auf dem Gipfel. Das war doch eine sehr preiswerte Besteigung,
wenn man bedenkt, wie unbändig sich der Gipfel vom Tal aus präsentiert.
Bei einem solchen Sonderangebot nehmen wir auch ein paar kleinere Schönheitsfehler in Kauf.
Der Gipfel selbst wirkt ziemlich weitläufig und unspektakulär, ein Gipfelkreuz ist
nicht vorhanden. So deklarieren wir irgendeinen Felsbrocken als höchsten, setzen uns drauf
und dürfen uns die unerschrockenen Bezwinger des Hochleist nennen. Gar nicht schlecht
für den ersten Tag und kaputt gemacht haben wir uns dabei auch nicht.
Die Fernsicht fällt dem trüben Wetter zum Opfer, hier und da tröpfelt es sogar. Im Osten
türmt sich die gigantische Felswand des Elferkofel (3095m) zum Greifen nahe vor uns auf.
Auf halber Höhe machen wir an einigen Stellen die in den Felsen gehauenen Gänge des
Alpini-Steiges aus.
Entgegen dem, was uns berichtet wurde, sieht der Steig relativ schneefrei aus. Da hätte
man sich vielleicht von der Rotwandspitze kommend irgendwie herüberquälen können.
(v) Der große Coup
Die Lust auf Schnitzel macht alsbald die Runde und so beschließen wir den Abstieg über
denselben Weg. Das fiese Schneefeld zeigt sich bergab noch unangenehmer zu begehen. Wir
überholen einen einsamen Mann mit Eispickel, der von der Forcella Giralba heruntergestiegen
ist und offensichtlich gar keine Power mehr hat.
Zurück auf der Zsigmondyhütte erwartet mich ein schwerer Schicksalsschlag: jemand hat meine
geliebten Badelatschen geklaut! Ich hatte sie vor unserem kleinen Ausflug unten ins
Schuhregal gestellt und der Dieb hielt sie vermutlich irrtümlich für Inventar. Es wäre
sicherlich Energieverschwendung, unauffällig unter den Tischen herumzukrabbeln, die
Latschen jedes einzelnen Gastes unter die Lupe zu nehmen und den Ertappten daraufhin
zu brüskieren. Morgen früh werden sie wieder im Regal
stehen. Ich hoffe nur, dass der Schubiak sich die Füße gewaschen hat!
Nach dem leckeren Wiener Schnipo (21000 Lire) und ein paar Bierchen (je 6500 Lire) sieht
die Welt schon wieder rosiger aus. Wir verspüren keine große Motivation mehr, die
morgige Tour zu planen und verplempern die Zeit bis 22:00 Uhr lieber mit
Gäste- und Bedienungsobservierung, Romme-Spielchen, eisigen Rauchpausen vor der Hütte
und dem Verzehr von Rotwein (8500 Lire je Karaffe Schädel-Hausmarke). Es folgt die
wohlverdiente Heia im Doppelzimmer.
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