Ortler Report 2006

8. Tag: Tabarettaspitze (3128 m), fast der neunte 3000er

Das Wetter bleibt wechselhaft. Aber wir sind guter Dinge, heute unseren neunten 3000er zu erreichen – Tabarettaspitze, Tabarettahütte, Payerhütteschon träumen wir von zehn bis elf dieser Größenordnung, womit wir unsere Allzeit-Statistik enorm aufpoliert hätten. Wir starten mit dem Sessellift hinauf zur Bergstation Langenstein auf 2330 m. Von hier aus folgen wir erst Weg Nr. 10, dann 4a in Richtung Zwischenziel Tabarettahütte. Der Pfad führt über „frisches“ Geröll direkt unter der Unter der Ortler-Nordwandberühmten Ortler-Nordwand entlang, das teilweise erst jüngst aus der Ortler-Nordwand herab gedonnert zu sein scheint - zunächst etwa eine Stunde immer etwa auf einer Höhe. Die Tabarettahütte liegt auf einem kleinen Hügel an dessen Fuß ein großer Gedenkstein an alle Verunglückten der Ortler-Nordwand erinnert. Hier steigen wir jetzt etwa 200 Hm auf einem gut angelegten Serpentinenpfad empor, um bei der Tabarettahütte (2556 m) unseren ersten Pausensnack einzulegen.

Weg zur PayerhütteDer anstrengende Teil erwartet uns nun über Weg Nr. 4 hinauf zur Payerhütte, die einsam hoch oben auf einem Felszipfel thront und heute nur gelegentlich ihre Tiefblick zur Tabarettahütte und SuldentalVerschleierung fallen lässt. Der schmale Serpentinen-Weg wirkt schon von unten sehr spektakulär. Er führt entlang der fast senkrechten Felsen über teilweise loses Geröll und Felsstufen. Hier ist Trittsicherheit gefragt, denn losgetretene Steine lösen hier leicht eine Gerölllawine aus. Plötzlich schießen tatsächlich einige Felsbrocken sehr nah an uns vorbei – dem Verursacher über uns können wir jedoch keinen Rüffel wegen Unachtsamkeit erteilen – hinter einem Felsblock weit oben Stevie gibt Gasblickt uns eine Ziege treudoof an und scheint sich keiner Schuld bewusst. Nach einer Stunde gelangen wir zur Bärenkopfscharte auf 2871 m, die uns jetzt den Blick hinab ins nebelige Trafoiertal und auf die Stilfserjochstraße erlaubt. Merklich haucht uns der vergletscherte Fast-4000er seine Kälte entgegen. Wir stehen zu Füßen des berühmten Ortlers. Adlerhorst Payerhütte

Tabarettahütte und Sulden liegen winzig wie Märklin-Modelle tief unter uns. Die Payerhütte thront wie ein Adlerhorst in schwindelnder Höhe über uns. Bis dorthin wurde es jetzt richtig spannend. Wir haben ein Felsmassiv zu passieren, dessen glatte westliche Platte steil in den Himmel ragt. Dazu nur eine fußbreite Rinne. Dank guter Drahtseilsicherungen lässt sie sich sicher Auf dem Gratpassieren – mit und ohne Sicherungsgurt. Der über 200m schaurige Tiefblick lässt uns jedoch schwindeln. Eine früher schwierigere Kletterstelle ist durch eine Holzbrücke entschärft. Der Steig endet an einem Luftiger Steig, ....freistehenden ca. acht Meter hohen Felszacken, der an einen mahnenden Finger König Ortlers erinnert und Bergsteiger zur Vorsicht mahnt. Der Sage nach soll es sich beim Ortler um einen versteinerten Riesen handeln.

Nun sind es noch ca. 100 Höhenmeter bis zur Hütte auf steilem aber gut ausgebautem Platten-Weg. Zugang, Lage und das sich hier bietende Bild der Payerhütte mit ihrer Kapelle erinnert mehr an die uns wohlbekannten Burgruinen des Rheintales, als an eine Berghütte. Bei gutem Wetter ist diese Der mahnende Finger König Ortlerswichtiger Ausgangspunkt für zahlreiche Seilschaften, die mit ... aber gut gesichert!Bergführern unterwegs zum Gipfel des Eisriesen sind. Die kleine Kapelle hier soll letzten Segen für eine glückliche Rückkehr spenden. Heute braucht ihn niemand. Nur wenige Tagesbesucher rasten in der Gaststube, zumindest sieht neben dem einzig anwesenden Bergführer niemand so aus, als wolle er heute oder überhaupt je den Ortler besteigen. Dazu ist derzeit die Wetterlage sowieso zu unbeständig. Bei einsetzendem Schneefall und momentaner Aussichtslosigkeit genehmigen wir uns zunächst eine wärmende Mittagssuppe im Stübchen.

Die unheimliche PayerhütteDer Weg zur Tabarettaspitze ist von hier aus nicht weiter ausgeschildert. Wir müssten aufUnbeständiges Wetter Verdacht ausgetretenen Pfaden in Richtung Ortler folgen über rutschigen und steilen Fels vorbei an gähnende Abgründen – mit Kletterei am oberen Stück. Da nun eine richtig dichte Nebelwand aufzieht und weiteren Schneefall mit sich bringt, treten wir den Rückweg an. Heute halt ohne Gipfel, aber immerhin ein lohnendes Ziel über 3000 m erreicht. Wir ahnen nicht, dass nur acht Tage später ganz in der Nähe bei schlechtem Wetter zwei Dortmunder Bergwanderer auf tragische Weise ihren Tod finden. Und schon im Mai fielen zwei Berchtesgadener einer Eislawine in der Nordwand zum Opfer. Wetter und Berg sollten hier nicht herausgefordert werden.

Tschenglser & Co. gegenüberWir kehren gesund und glücklich auf gleichem Pfad zurück ins Tal. Der Rückweg kommtPayerhütte uns sogar recht kurz vor – vermutlich, weil wir uns inzwischen ausgesprochen fit und trainiert fühlen. Noch beim Abstieg planen wir für morgen unseren nächsten Gipfel. Doch dazu soll es nicht mehr kommen. Der Rückweg ins Suldental geht bis zur Tabarettahütte komplett über die Aufstiegsroute. Von dort aus wieder hinüber zum Sessellift Langenstein und schließlich hinab ins Tal, wo uns heute wieder eine leckere Pizza in der Bärenhöhle erwartet – ein letztes Mal. Aber wir kommen wieder – irgendwann – und nehmen uns den Chef vor, den König wohl gemerkt, König Ortler.

Suldental
9. Tag: Rückfahrt
Der Morgen ist kühl und verregnet. Alle Hoffnungen auf Wetterbesserung schwinden. Wir setzen auf Plan B, der uns fort aus Südtirol auf dem Heimweg sogar noch ein bis zwei Gipfel in den Ötztaler Alpen bescheren könnte. Das wäre noch einmal ein Highlight. Doch leider zeigen sich Stunden später auch die Österreicher Berge von ihrer fiesesten Seite, so dass wir den Alpen nun gänzlich den Rücken kehren. Aber wir sind mit dem Erreichten zufrieden. Elf Gipfel, davon acht 3000er in nur acht Tagen. Das hätten wir vor einer Woche nicht für möglich gehalten. Und der Sommer 2007 kommt bestimmt.


© Michael Breiden 2007

Fotospecial Ortler Report

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