Dolomiten Report 2003Rosengarten - da sind wir wieder!
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In diesem Jahr testen wir Steinschlaghelme:
Michael
Stefan
Tourenübersicht (20.7. bis 26.7.2003):
0.Tag: Ankunft in Vigo di Fassa - Aufstieg zur Rotwandhütte
0.Tag: Ankunft in Vigo di Fassa - Aufstieg zur Rotwandhütte Um acht Uhr morgens stehen wir endlich an der Talstation der Gondelbahn von Vigo di Fassa, nachdem wir die ganze Nacht von Koblenz durchgefahren sind, ohne auch nur ein Sekündchen zu schlafen (das gilt zumindest für mich - und angeblich auch für meinen Fahrer Michael). Nach nunmehr drei Jahren Abstinenz haben wir uns erneut für einen Besuch im Rosengarten entschieden, dessen Name immer noch schmerzliche Erinnerungen in mir weckt. Dieses Mal bringen wir jedoch ein gutes Stück mehr Erfahrung mit, ganz zu schweigen von unseren neuesten Errungenschaften in Sachen Equipment - den flotten Steinschlaghelmen, die uns - egal, ob auf der Birne sitzend oder am Rucksack baumelnd - das gewisse professionelle Etwas verleihen. Bleibt zu hoffen, dass uns die Tage ein paar ordentliche Kawenzmänner auf die Köpfe krachen, damit sich die Teile auch amortisieren. Gegen Entrichtung von je 6 Preisgeld befördert uns die Gondel innnerhalb weniger Minuten den 600 Meter hohen Grashang hinauf zur sonnenbeschienen Bergstation (1997m). Gleich zwei Wege führen zu unserem Ziel, der Rotwandhütte (Roda di Vael, 2280m). Wir geben der Nummer 541 den Vorzug. Der ist zwar länger als der Val di Fassa-Höhenweg 545, dafür verlässt er jedoch schnellstmöglich den Wald und führt über felsiges Terrain. Bereits nach einer halben Stunde mäßigen Anstieges sind unsere T-Shirts vollkommen durchgeschwitzt - ein Zustand, der sich als symptomatisch für diesen Urlaub erweisen soll. Offenbar sind wir mitten in den mediterranen Hochsommer hineingeplatzt.
Nachdem wir einen Blick auf das bekannte Vajolettal geworfen haben, schnaufen wir uns
müde
den Pfad unterhalb des zweistöckigen Zigolade-Massivs entlang. Am Pass unterhalb des Mugoni
erwartet uns der großartige Ausblick auf die senkrechte Ostflanke der Rotwand (2806m).
Nach etwa drei Stunden Gehzeit (inkl. Frühstückspause) erreichen wir schließlich die Rotwandhütte
nebst der Imbissbude genannt Pederiva-Hütte und sind einigermaßen verblüfft über die
hektische Beriebsamkeit, die dort vorherrscht.
Als sich der Trubel am Nachmittag ein wenig gelegt hat, rappeln wir uns auf und gehen die
Besteigung des Hausberges Ciampaz (2316m) an. Dank wackliger Beine gestaltet die
sich
gar nicht unschwierig. Auf dem Gipfel überkommen mich Absturzhalluzinationen. Ich freue mich
auf mein Bett. Das Abendessen ist schnell abgehakt: die Spaghetti con Fleischsoße
kommen als Kinderration daher, ich kaue jeden Bissen 40x und äuge neidisch zu den vier
Hannoveranern am Nachbartisch hinüber, die so umsichtig waren, die Würstchenplatte zu ordern.
1.Tag: Rotwand (2807m) - via Hirzelweg zur Rosengartenhütte Für meine seit langer Zeit erste Nacht in größerer Höhe habe ich leidlich geschlafen. Glücklicherweise sind die berüchtigten Atem- und Verdauungsgeräusche ausgeblieben, die in Massenunterkünften sonst leider nur all zu prävalent sind. Das Wetter verspricht zunächst heiteren Sonnenschein, doch die hohe Luftfeuchtigkeit und das Radio der Kellnerin lassen abendliche Gewitter befürchten. Nach dem standardisierten Frühstück machen wir uns an das heutige Tagewerk. Wir wollen zunächst die Rotwand be- und anschließend die Ferrata Masaré durchsteigen. Ein erträglicher Anstieg zum Vaiolonpass (2560m) beschert uns schließlich neben einer schönen Aussicht auf den (oder das) Latemar auch den Beginn des Rotwand-Klettersteiges. Neben dem obligatorischen Klettergeschirr kommen selbstredend die schicken Helme zum Einsatz. Michael hat übrigens einen weißen und ich einen roten, damit man uns aus dem Weltall leichter auseinanderhalten kann. Wer sich die Rotwand von Westen oder von Osten aus genauer betrachtet, mag kaum glauben, dass es einen Weg geben könne, der einen Menschen ohne großartige Schwierigkeiten und Existenzängste dort hinauf beförderte. Doch eben jenes leistet der Rotwand-KS, der sich - dort, wo es angebracht scheint - stets gut gesichert über den nördlichen Grat etwa 250 Hm hinaufwindet. Wir haben mehr Glück als Roberto Garcéa, der im Jahre 1965 im zarten Alter von 18 Jahren zu Tode gekommen ist - wie eine Gedenktafel knapp unterhalb des Gipfels bezeugt - und erreichen freudig den Gipfel der Rotwand.
Der ist großzügig ausgelegt und bietet Platz für jedweden Ansturm - heute sind wir jedoch nur
etwa
zu zehnt. Die Aussicht lässt mittlerweile zu wünschen übrig, dunstig ist es in der Ferne und über
uns ziehen Wolken auf. Da ich neuerdings Nichtraucher bin, fällt auch die früher obligatorische
Gipfelzigarette flach und alles was mir bleibt ist die Freude über die gelungenge Besteigung eines
aufregenden Berges an sich. Da der Nachmittag noch recht jung ist, beschließen wir, heute noch zur Rosengartenhütte weiterzustiefeln. Von der wissen wir nämlich aus Erfahrung, dass sie eine warme Dusche und ein köstliches Wiener Schnitzel bereit hält. Wegen des hohen Regenrisikos wählen wir den Hirzelweg, der einfach zu begehen ist und der sich einmal um den südlichen Sporn des Rosengarten herumzieht. Dort treffen wir auf ein pompöses Monument in Gestalt eines Greifvogels und eine lange Sitzbank, auf der einige depressive Senioren herumsitzen. Während Michael ein Foto von dem Flattermann schießt, muss ich mir die Kommentare der älteren Herren anhören, wie ungerecht es doch sei, dass ich noch so jung sei und dass ich diesen Umstand doch gar nicht zu schätzen wisse. Ich kann mir jedoch - Hand aufs Herz - schlimmere Martyrien vorstellen, als den lieben langen Tag in der Sonne herumzusitzen, ohne arbeiten zu müssen. Doch ist es dem Menschen inhärent, dass er niemals mit dem zufrieden ist, was er hat. Mit der ersehnten Hütte kommt auch das schwarze Gewitter in Sicht, das sich offenbar im Norden über dem Schlern austobt. Wir drücken noch einmal mächtig auf die Tube, nehmen prustend den finalen Anstieg und erreichen die Hütte, die mindestens so viele Namen wie der Teufel hat (Rosengartenhütte, Kölner Hütte, Rif. Coronelle, Rif. Fronza), trockenen Fußes. Als die Sintflut endlich einsetzt, haben wir schon geduscht (2,30 ) und geschnitztelt (10,50 mit Pommes). Lustigerweise haben wir wieder unser niedliches altes Turmzimmerchen von vor drei Jahren zugeteilt bekommen. Nur dieses Mal werde ich nicht vor Schmerzen schreien müssen, sollte ich heute nacht durch einen unwiderstehlichen Drang über die steile knatschige Holztreppe einen Stock tiefer getrieben werden.
2.Tag: Klettersteig am Santner Pass - Antermoia-Hütte Nach herrlichem Schlaf im Zweibettzimmer gönnen wir uns für 6 ein(e) Colazione - das ist so etwas ähnliches wie Frühstück, nur nicht so lecker. Das Wetter ist nach dem gestrigen Regen wieder zu gewohnter Stabilität zurückgekehrt. Weit im Westen, jenseits des Eisacktals, prangen die weißen Hänge der fast 4000 Meter hinaufragenden Ortlergruppe. Dort hat dieser (vorläufige) Jahrhundertsommer bisher keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Leider nützt uns der Sonnenschein momentan noch nichts, denn bis zum Erreichen des Santner Passes werden wir uns im finsteren Schlagschatten der Rosengartenspitze (Cima Catinaccio, 2987m) und des ihr vorgelagerten Baumannkammes bewegen. Kaum aus der Haustür, erwartet uns bereits der grauenhaft steile Aufstieg auf das nächsthöhere Felsband. Am frühen Morgen blubbert das Blut noch fürchterlich viskos durch die Adern und auf dem oberen Absatz angekommen sind wir ziemlich sicher, dass dies subjektiv bereits die schlimmste Anstrengung für den heutigen Tag gewesen sein muss. Der Weg wird bald zum engen Krabbelpfad. Wir legen unsere Klettersteigsets an - die Helme haben wir schon bei Verlassen der Hütte aufgestülpt. So absurd die Dinger auch aussehen mögen - beim Rumkrabbeln im Fels geben sie einem schon ein gewisses Gefühl von Sicherheit - auch wenn es letztlich nur zwei Millimeter Plaste sind, die das weiche Hirn vom harten Dolomit abschirmen sollen. Und nach wenigen Minuten Gewöhnungszeit spürt man sie überhaupt nicht mehr. Drahtseil- oder ähnliche Sicherungen sind zunächst Fehlanzeige. Als wir diesen Weg vor drei Jahren in umgekehrter Richtung durchstiegen haben, sah alles anders aus. Nur wenige markante Stellen sind mir in Erinnerung geblieben wie z.B. das Rattenloch, durch das wir uns bäuchlings hindurchquetschen. Die beiden barhäuptigen Deutschen hinter uns gehen einfach drumherum. Diese Alternative war uns wohl entgangen. Wir tun so, als hätten wir da selbstverständlich auch hergehen können, ohne uns überall einzusauen und einzubeulen, aber letztlich lasse die Benutzung vereinfachender Abkürzungen doch auf keinen ausgeprägten Sportsgeist schließen. Das nimmt man uns nicht so ganz ab. Immerhin beneidet man uns standesgemäß um unsere Kopfbedeckungen. So klettern wir einige enge Kamine hinauf und treffen irgendwann auf die Schneerinne von damals, die in diesem Sommer de facto nur noch eine Rinne ist. Einige gesicherte Kletterpassagen und immer mehr Gegenverkehr folgen, bis wir schließlich den Santner Pass (2741m) erreichen. Der Ausblick rundherum auf Latemar, das Eisacktal und die Vajolettürme ist beinahe so beeindruckend wie vor drei Jahren. Damals standen jedoch noch nicht solche Menschenmassen um uns herum wie heute. Wir sind in diesem Jahr drei Wochen später dran als sonst, was sich auch temperaturlich deutlich auswirkt. Nach kurzer Freu- und Atempause marschieren wir das kurze Stück unterhalb der Laurinswand (2813m) zur Gartlhütte (2621m) hinunter. Wir setzen uns in die sengende Sonne, beobachten, wie sich die vielen Seilschaften an den grandiosen Vajolettürmen gegenseitig auf die Füße treten und futtern dabei Kekse und Ekelsalami. In Richtung Nordosten thront über dem Vajolettal ein bemerkenswerter Gipfel, der nicht recht in das formative Dolomitenschema "Turm, Klotz oder Wand" hineinpassen will und von dem später noch die Rede sein wird.
Der 400Hm-Abstieg ins Vajolettal verläuft über einen Krabbel-Stolper-Hang und zieht sich
verkehrsbedingt ordentlich in die Länge, denn uns kommen drei oder vier italienische
Schulklassen
entgegen. Multipliziert man die Worte "Ciao!", "Salve!", "Buon Giorno!", "Grazie!" und "Prego!"
mit einem Faktor hundert, erhält man in etwa eine Vorstellung, welche Prüfung das für
uns bedeutet.
Dennoch wollen wir heute noch weiter und Neuland entdecken. Ich lasse meinen Michael
auf der Antermoiahütte anrufen. Dort teilt man
ihm mit, dass bis auf vier Schlafgelegenheiten alle belegt seien und eben diese vier dürften
laut Vorschrift nicht reserviert werden, sondern würden nach einem beliebten Motto aus dem
Sachsenspiegel vergeben, das da lautet: wer zuerst kommt...
Der Senioren-Highway Nr.584 windet sich zur Grasleitenpasshütte (2600m) hinauf, die ich in einer
früheren Reportage reißerisch als "luxuriösen Fahrradschuppen" bezeichnet
habe.
Kurz vor besagter Hütte verlassen wir den Pfad und schlagen uns in östlicher Richtung den
steilen, schottrigen Kar zum Antermoiapass (2726m) hinauf. In der Südwand des monströsen
Kesselkogel (Catinaccio di Antermoia, 3002m) erspähen wir eine kleine Höhle - mehr eine Nische -
in Höhe des Pfades. Wer weiß, wozu die noch einmal nützlich sein mag...
Das aparte, aber etwas ruppige Hüttenfräulein stürzt sich augenblicklich in komplexe Berechnungen
und
erlöst uns schließlich von den Qualen der Ungewissheit - man hat tatsächlich noch Platz für uns!
In fließendem Italian-English erklärt sie uns die Hausordnung und zeigt uns die Quartiere:
Dachboden, Vierermatratzen. Kuschelig. Bisher sind noch alle frei. Die anderen kommen gewiss noch.
3.Tag: Cima Scalieret (2887m) - Abstieg nach Vigo di Fassa durch das Vajolettal Der frühe Morgen bringt Ernüchterung: irgend etwas stimmt nicht mit dem Wetter. Der Tagesanbruch lässt die gewohnte Jungfräulichkeit vermissen, diese sonst so beruhigende Klarheit und Unschuld, die einem Zuversicht verleiht und spricht: "egal was war und was noch sein wird, lauft erst mal los und fürchtet euch nicht". Kaum haben wir nach erfolgreichem Colazione den See in Richtung Kesselkogel passiert, fängt es an zu pieseln. Leicht zunächst, doch der Himmel zieht sich sukzessive zu. Die Hoffnung auf Dreitausenderspaß ist damit zunichte gemacht, denn bei Regen wollen wir den Kesselkogel-Klettersteig nicht angehen. Stattdessen stapfen wir zum Antermoiapass hinauf. Kaum oben, beginnt es kräftig zu regnen. Flugs rennen wir zu der kleinen Grotte, die wir gestern entdeckt haben. Die erweist sich als obergemütlich. Wie immer versucht Michael, mir mit seinen albernen Wolpertinger- Gruselgeschichten Angst einzujagen. Zunächst mit Erfolg. Doch nach dem Brunch hellt sich der Himmel draußen wieder auf und der Gipfelhunger erwacht erneut in mir. Wir befinden uns unweit der Cima Scalieret (2887m), jenes Berggipfels, den wir gestern von der Gartlhütte aus erspäht haben. Auch wenn es keinen offiziellen Pfad auf die Spitze gibt, konnten wir gestern dort oben Leute und ein Gipfelkreuz ausmachen. Unser Entschluss ist gefasst. Ein erkennbarer Trampelpfad führt von der Höhle zum Passo Scalieret (2768m) hinüber, von dort arbeiten wir uns auf den Grat in Richtung Süden vor. Nun gerät die eigentiche Spitze ins Visir. Sie kommt für einen Dolomitengipfel ziemlich unspektakulär daher - quasi "alpin" - ein Horn, welches man über den mäßig ansteigenden Grat ohne irgendwelche Kletterhilfsmittel erwandern kann - selbstsicheres Auftreten vorausgesetzt. Oben (2887m) bemerken wir, wie hoch dieser unbedeutende Berg in Wahrheit ist, denn wir genießen einen fantastischen Ausblick auf den Rosengarten, insbesondere aber auf die Wolken, die aus Richtung Rosengartenspitze kommend wie Ejakulat im Wasser auf uns zu schießen. Geschwind steigen wir wieder ab und suchen die Nähe unserer heimeligen Höhle. Doch der befürchtete Kübelguss bleibt aus. Vielmehr verkrümeln sich die Wolken und die Sonne kommt immer häufiger zum Vorschein, als wir die Grasleitenpasshütte erreichen (zur Erinnerung: das war dieser Fahrradschuppen). Hier sollte man sich keinesfalls den Blick hinab in den berüchtigten Grasleitenkessel entgehen lassen, jene bodenlose Höllengrube, die uns vor drei Jahren soviel schmerzhaftes Lehrgeld abgezollt hat. Wir beobachten einige Leute, die in den westlichen Teil des Kesselkogel-KS einsteigen, der unmittelbar über dem Pass beginnt. Für uns fällt dieser Spaß flach, denn wir wollen heute abend zurück im Fassatal sein und haben daher einen langen Weg vor uns. Der führt uns wieder einmal zur Vajolethütte, die uns noch einen Drink auf der Sonnenterrasse wert ist. Von den zwei Wegen, die uns unwiderruflich aus dem Vajolettal hinausführen, wählen wir den oberen (Nr.541), da er uns landschaftlich interessanter erscheint. Zu unserem Entsetzen führt er nach kurzem Abstieg wieder mehrere hundert Meter bergauf. Der Colle Barbolada (2375m) ist ein am Weg liegendes Gipfel-Sonderangebot.
Der Weg - so schön und abwechslungsreich er angelegt ist - beginnt sich allmählich zu
ziehen.
Unter unzähligen kleinen Spitzen und Türmchen geht es - mal eng, mal großzügig - auf und ab,
bis uns die Füße schmerzen, der Verstand einschläft und ich nur noch diese monotone, geisterhafte
Stimme vernehme, die mir brutal "Vorwärts!" befiehlt und dann mit zartem Unterton hinterher haucht:
"Sonst ist bald die letzte Gondel ins Tal weg." Schließlich
treffen wir auf den vertrauten Weg, den wir am Sonntag hinaufgekommen sind. Der schmerzhafte
Abstieg über 300Hm ist unausweichlich und irgendwann erreichen wir die Bahnstation. Die letzte Gondel ist noch lange
nicht weg, geschwind sind wir unten und kurven mit dem Auto in Richtung Gadertal, auf der Suche nach einem
Zimmer für die Nacht. Fazit: Der Rosengarten ist ein ganz großer, auch wenn er nach vier Tagen ein wenig zusammengeschrumpft ist.
4.Tag: Heiligkreuzkofel (Versuch) Nachdem wir die letzte Nacht in der sinnesbetörenden Pension Jasmin in San Cassiano übernachtet und uns am All-you-can-eat- Frühstücksbuffet schadlos gehalten haben, brechen wir zu unserer ersten von insgesamt drei angedachten Tagestouren auf: der Besteigung des Heiligkreuzkofels (2908m) am Nordwestrand der fantastischen, mondkraterähnlich geformten Kreuzkofelgruppe. Leider zeigt sich der Himmel ziemlich trüb, doch sind wir guter Hoffnung, denn aus Erfahrung wissen wir, wie schnell das Wetter in den Alpen umschlagen kann. Im wenige Kilometer entfernten Dorf Pedraces nehmen wir den Lift hinauf zur Bergstation. Eine Schotterstraße bringt uns nach 200Hm zum Heiligkreuz-Hospiz (2045m). Doch spiritueller Beistand währet uns hier nicht, nur der Anblick der sich an der Westwand des Massivs stauenden Wolken und das ernüchternde Gefühl des einsetzenden Regens. Langer Rede kurzer Sinn: nach einer kleinen Wanderung durch den Medes-Wald wird das Wetter nicht besser und der Tag nicht jünger. Wir verzichten bald auf die Besteigung und fahren mit dem Wagen über den Falzarego-Pass nach Cortina d'Ampezzo. Dort bummeln wir die Einkaufsmeile dieser bedeutenden Metropole auf und ab, was etwa fünfzehn Minuten unserer Zeit in Anspruch nimmt. Fazit: schlechtes Wetter ist im Urlaub unbedingt zu vermeiden.
5.Tag: Tofana di Roces (Versuch)
Hätten wir uns besser nochmal den Kreuzkofel vorgenommen! So müssen wir - bei 1a Kaiserwetter -
den Versuch, die südliche der drei Tofanen (3235m) über die Ferrata Lipella zu erklimmen,
bereits nach drei Stunden abbrechen. Fazit: wir kommen wieder!
6.Tag: Drei-Gipfel-Tour am Falzarego-Pass Für unseren finalen Tourentag haben wir uns realistische Ziele gesteckt. In der Nähe des Falzarego-Passes westlich Cortina d'Ampezzo haben wir in den letzten Tagen einige interessante, jedoch nicht bombastisch hohe Berggipfel entdeckt, die wir besteigen möchten. Als erstes soll der Hexenstein (Sasso di Stria, 2477m) vor uns auf die Knie fallen. Seine Südostwand ist ein schaurig-schönes Postkartenmotiv und bei Kletterern sehr beliebt. Als Fußgänger versuchen wir es über die entgegengesetzte Flanke, die direkt vom Valparola-Pass (2192m) ausgeht und nurmehr ein Krabbelfelsen ist. Schon dem parkplatzgebundenen Beobachter springt der blaue, etwa automobilgroße Felsbrocken ins Auge und man fragt sich unwillkürlich: ist das eine Laune der Natur? Wahrscheinlich nicht. Wirkt zu artifiziell. In diesem Fall muss ihn jemand blau gemacht haben. Aber wer und warum? Sollte jemand seriöse Antworten auf diese Fragen kennen (kein "UFO verlor Kühlflüssigkeit" o.ä.), möge er mir bitte schreiben.
Der Aufstieg erweist sich anfangs als unproblematisch. An einer Stelle verlieren wir Zeit,
als wir einem falschen Pfad nach links folgen, der uns beinahe zurück zum Parkplatz
bringt.
Unvermutet stehen wir schließlich vor einem großen Transparent. Eine Inschrift klärt uns
über die Tatsache auf, dass Mitglieder des italienischen Alpenvereins hier derzeit
alte Schützengräben freischaufeln und restaurieren. Offenbar fanden auch die österreichischen
Truppen im 1. Weltkrieg den Hexenstein strategisch günstig gelegen. Der Wanderer sei jedenfalls herzlich
eingeladen, seinen Beitrag zur archäologischen Forschung in Form freiwilliger Arbeit beizusteuern, heißt es.
Wie angekündigt, treffen wir unterwegs auf viele Gräben und Unterstände.
Etwa 50m unterhalb des Gipfels
beginnt
ein ungesicherter Klettersteig, später führen Leitern einen engen Kamin hinauf und schon
sind
wir oben. Selbst hier findet sich noch Kriegsarchitektur. Über dem Eingang einer kleinen
Grotte prangt ein Schild mit einer Inschrift. Ich kann zwar kein Italienisch, aber ein wenig
Spanisch und Latein. Der Schrieb erweist sich als schwülstiges Liebesgedicht zu Gunsten
einer gewissen Roberta.
Nach wie vor voller Tatendrang fahren wir zum 1500m entfernten Falzarego-Pass (2105m). Hier
herrscht Hochbetrieb und wir finden nur mit Mühe einen Parkplatz. Zwei Hauptattraktionen hat
der Pass zu bieten: die Motorrad- und Bustouris gehen zum Powershopping in den Souvenirladen
und die etwas unternehmungslustigeren Zeitgenossen pflegen mit der Seilbahn zur Lagazuoi-Hütte
(2756m) hinauf zu schweben. Über sattgrüne Grasmatten, die dann und wann von Skinarben unterbrochen werden, ackern wir uns den Hang in Richtung Punta Gallina ("Hühnerspitze", 2518m) hinauf. Von Norden erscheint der Gipfel wie ein Soufflet, vom Hexenstein aus wie eine Rampe. Ein Pfad verlässt den Hauptweg und führt uns teilweise eng um die Westflanke des Berges herum. Wir treffen auf eine nette, junge Italienerin, die zusammen mit ihrem Bruder einen recht unorthodoxen Abstieg vom Gipfel durch einen rutschigen Schotterkamin hinter sich hat. Anscheinend haben die beiden vollkommen die Orientierung verloren. Auch wir wissen nicht genau, wie es weitergehen soll. Der Pfad, den wir gekommen sind, windet sich weiter um den Berg herum, doch wir entdecken eine Farbmarkierung am Fels, direkt neben einer schmalen Spalte, die es offenbar hinauf zu klettern gilt. Es sind nur wenige Meter. Michael lässt seinen Rucksack zurück, da wir glauben, danach so gut wie auf dem Gipfel zu sein. Doch da haben wir uns gründlich verhauen. Jetzt kommt die Rampe ins Spiel, die wir vom Hexenstein erblickt haben und es folgt ein grausamer, nicht enden wollender Aufstieg durch blendenden Schotter. Da heißt es pumpen. Nur Steinhaufen weisen zuverlässig den Weg. Endlich auf dem Gipfel angekommen, sind wir nicht die einzigen. Wir haben ein italienisches Pärchen aus seiner Siesta aufgeschreckt. Das Gipfelkreuz ist nur circa 30cm hoch und hat auch keinen Blitzableiter eingebaut.
Als nächstes ist der Monte Averau (2648m) dran, ein steiler Zahn im wahrsten Sinne des Wortes
und kaum einen Kilometer Luftlinie von uns entfernt. Michael hat leider das Pech, dass er wieder
absteigen muss, um seinen Rucksack zu bergen. Denn der kürzeste Weg zum Averau führt über
den Südosthang der Punta Gallina. Der Arme muss also etwa das dreifache meiner Wegstrecke bis
zu unserem Treffpunkt, der Forcella Gallina, zurücklegen, wenn er sich nicht wieder die Rampe
hochquälen möchte. Ich beneide ihn ehrlich darum,
denn bestimmt lernt er dabei eine ganze Menge.
Wir stolpern die besagte Rinne hinauf und erreichen einen Pass am Fuße des Monte Averau.
Die Sonne brennt erbarmungslos zwischen den Quellwolken hernieder und unsere Wasservorräte sind fast erledigt. Der Pfad bringt uns um
den
halben Gipfel herum und schließlich zur heiß ersehnten Averau-Hütte (2416m), wo
wir erstmal unsere Zellen erfrischen. Hinter der Hütte dürfen wir ein absolutes Kuriosum
bestaunen, denn dort neigt sich eine gigantische, steinerne Abschussrampe himmelwärts,
an deren Oberkante
eine weitere Berghütte thront - die Nuvolau-Hütte. Doch nach so viel Japserei in der schwülen
Julihitze sind wir weder für eine Rampenbesteigung noch für
eine Besteigung des Averau über die Via Ferrata an der Ostwand länger motiviert.
Das war es auch beinahe schon fast wieder für dieses Jahr. Heute abend werden wir uns nochmal Riesenpizza
inklusive Umtrunk in San Cassianos Dorfkneipe "Da la Vedla" gönnen und morgen abend sitzen wir schon wieder
zu Hause in Good Ole Germany, salben unsere geschundenen Füße und überlegen, ob wir die
stinkenden Wanderklamotten nicht besser sofort verbrennen. Fazit: die Buchhaltung meint, es seien dann doch nur zwei Gipfel gewesen.
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© Stefan Maday 5.9.2003