Die Alpbach Chronik 1999

22.08.1999 Großer Galtenberg (2424m)

Endlich ist es soweit. Während sich ab heute die selbsternannte intellektuelle Elite im Rahmen des Europäischen Forums im Alpbacher Kongreßzentrum untereinander bejubelt, steht mir der Sinn eher nach einer Begegnung der physischen Art: heute soll der letzte der großen Vier vor mir in die Knie gehen.
In den vergangenen beiden Wochen bin ich bereits zweimal vergeblich gegen den Riesen angerannt, zunächst schwächelte meine Begleitung, dann hielt das Wetter nicht.
Heute bin ich alleine und der Gipfel ist ausnahmsweise einmal nicht wolkenverhangen (liegt vielleicht daran, daß Bundeskanzler Klima heute in Alpbach ist). Also keine Entschuldigungen, keine Ausreden. Alles außer einer erfolgreichen Besteigung wäre inakzeptabel. Man muß sich ein solches Ziel setzen. Ich bin ein neuer Stefan, auf der Gratlspitz habe ich einiges gelernt.
Aus künstlerischen Gründen werde ich zudem ab heute nur noch sw photographieren und natürlich weiterhin die Rechtschreibereform torpedieren.
Den Weg bis zur Gipfelregion kenne ich schon bestens. So parke ich mein Vehikel beim Leitner und gehe dann auch recht locker und flockig den Greiter Graben hoch an der Greitalm vorbei. Rechts über mir thronen die Sagtaler Spitzen wie Zähne in einem Drachenmaul, als ich dem Senioren-Highway zur Farmkehralm folge.
Kurz vor der Alm biege ich rechts ab Richtung Krinnjoch, halte mich aber links und marschiere an einem kleinen Gletscher vorbei und durch knietiefe Kuhscheiße den Hang hinauf, um schließlich wieder auf den Senioren-Highway zu treffen. Der führt direkt zum Hochleger der Alm.
Bis hierher war alles verdächtig einfach und gar nicht so anstrengend, offenbar bin ich jetzt nach drei Wochen in den Bergen schon ganz gut akklimatisiert. Knapp oberhalb der Hochalm teilt sich der Pfad, rechts führt der Weg über die Farmkehrpfanne in Richtung Kleiner Galtenberg. Das Schild mit der Aufschrift "Gratsteig, steil!" überzeugt mich, den linken Weg einzuschlagen. Heute ist erst mal Ankommen angesagt.
So geht es einige Zeit relativ gemütlich bergauf, bei etwa 2000m zweigt links ein Pfad über den Kamm direkt nach Inneralpbach ab, eine Alternative für den Abstieg. Bis hierher war ich beim letzten Versuch gekommen, dann holte mich der nasse, kalte Nebel ein.
Die letzten 400m verlaufen relativ human, in vielen Serpentinen schlängelt sich der Pfad allmählich auf das Gipfelkreuz zu. Gras und Humusboden werden immer mehr durch Geröll und Schiefersplitter abgelöst. Nach insgesamt knapp drei Stunden stehe ich plötzlich auf dem Gipfel, ein klein wenig enttäuscht, weil es doch ein bißchen zu einfach war. 2424m hoher Wäschetrockner Außer mir ist niemand hier oben, da kann ich mich ungeniert breit machen und mein Shirt zum Trocknen ans Gipfelkreuz hängen. Die Aussicht ist beeindruckend, auch wenn die Fernsicht durch Dunst ziemlich eingeschränkt ist. Im Süden erkennt man immerhin andeutungsweise die schneebedeckten Gipfel der Hohen Tauern, eingehüllt in dichte Wolken. Ich ärgere mich, mein Fernglas nicht mit nach Tirol gebracht zu haben. Ein Rundumblick verrät, daß es in der näheren Umgebung wirklich keinen höheren Berg gibt als den Galti. Alle anderen wie das Wiedersberger Horn, die Gratlspitz und selbst das Rofanmassiv wirken zwergig von hier oben. Dennoch ist der Galtenberg nicht die höchste Erhebung der Kitzbüheler Alpen, wie manchmal behauptet wird. Diese Auszeichnung darf sich das Kreuzjoch (2558m) bei Gerlos an den Torso pinnen.
Ich suche im Gipfelbuch nach einer Eintragung von Hildegard, die vor zwei Wochen hier oben gewesen sein wollte, finde aber nichts. Hat sie mir einen Bären aufgebunden? Dafür belehrt mich eine andere Eintragung, daß der Galtenberg aus Wildschönauer Schiefer besteht. Wenn wir schon beim Klugscheißen sind: hier oben herrscht nur etwa drei Viertel des normalen Luftdrucks auf Meeresniveau und da die Atmosphäre bei einem solchen gewitterträchtigen Wetter wenigstens adiabatisch geschichtet ist, dürfte die Temperatur schätzungsweise 15 Grad unter der in Alpbach liegen. Wohl besser, ich ziehe mein T-Shirt wieder an!
Nach Süden hin verläuft ein bedrohlich schmaler Grat, der schließlich steil in Richtung auf den Kleinen Galtenberg abfällt. Das muß der andere Weg zum Gipfel sein und ich bin froh, daß ich ihn nicht gegangen bin. Den spare ich mir für später auf, wenn ich groß bin und der Föhn föhnt.
Nach genossenem Gipfelglück (Ei und Zigarette) geht es den gleichen Weg wieder zurück, es ist schon spät, ich habe es eilig, mein Wiener Schnitzel wartet.
Beim Abstieg treffe ich tatsächlich auf einen jungen Wanderer, der noch später unterwegs ist als ich. Er freut sich, als er von mir erfährt, daß er der letzte und einzige auf dem Gipfel sein wird. Noch jemand, der die Einsamkeit der Berge schätzt.
Nach genau sechs Stunden sitze ich wieder im Auto.

Fazit: das "Alpbacher Matterhorn" ist nicht so schlimm wie sein Ruf, zumindest nicht beim Anstieg über den Touristenpfad. Aber schia is doch.

Unterhaltungswert:   Schwierigkeitsgrad: 


25.08.99 Sagtaler Spitze (2241m)

© Stefan Maday 5.10.2001